Donnerstag, 13. Oktober 2011

Warum ich Pirat wurde – Markus Schreiber und ein Zaun

Stresstest für die Streitkultur

Angemeldete Demonstrationen sind gelebte Demokratie außerhalb der Parteien und Parlamente. Besonders dann, wenn abseits der Wahltermine Bürger den Focus auf eine brennende Frage lenken wollen und Korrekturbedarf in der Politik sehen.
Politisch motivierte Straftaten, auch wenn sie Bezug nehmen auf berechtigte Proteste gehören aufgeklärt und bestraft. Gewaltbereite Trittbrettfahrer mit extrem verkürzten Gedankengängen, dafür haben wir Polizei und Staatsschutz.
Kein Demokrat darf sich einschüchtern lassen. Auch nicht von Verallgemeinerungen und der pauschalen Unterstellung, die Protestaktivisten wären geistige Urheber von Straftaten.
Das Recht zu demonstrieren ist ein unverzichtbares Lebenselixier der rechtsstaatlichen Ordnung, weil es ein niedrigschwelliger Weckruf an die Politik ist und bleiben sollte. Und dieses Recht lasse ich mir von Niemandem relativieren. Es ist nicht selbstverständlich, ich hatte ich nicht immer.

Im Gegensatz zu vielen Laufbahnpolitikern in den etablierten Parteien habe ich es mir erkämpfen müssen und hab auch was riskiert! 
Vor der ersten, wirklich gefährlichen Demo 1989 in der Schwerin haben wir das 4-jährige Kind nachmittags in die Obhut eines kirchlichen Kindergartens gegeben, mit rasendem Puls, voll Angst, was wohl passieren mag!
Dort war es üblich, friedfertigen Demonstranten "staatsfeindliches Rowdytum" zu unterstellen und SED-kritischen Demonstranten wurden mitunter sogar die Kinder von staatlicher Stelle weggenommen unter dem Vorwand, man habe sie abends vernachlässigt, während man Unruhe stiften ging.
Mir muss deshalb auch keiner erklären, dass nur gewaltloser Protest andere zum Denken anregt und zum Ziel führt. Und unsere Parolen in der DDR 1989 waren auch nicht vom Ponyhof.

Und noch was hab ich damals gelernt!
Unbegründet und hysterisch sieht das Ganze meist nur von oben aus, aus der Perspektive derer, die ihren komfortablen Status Quo nicht gefährden wollen. Ein Wählermandat ist ein Vertrauensvorschuss, kein Unfehlbarkeits-Attest.

Runder Tisch –Dialog?

Ich kann nur für mich sprechen. Hr. Schreiber hat den Zaun bauen lassen, im Alleingang. Und er hat von seinem Sprecher auch erklären lassen, er halte die Entscheidung trotz der Proteste noch immer  für richtig und werde dafür auch seinen Kopf hinhalten. Ich nehme ihn beim Wort, nicht mehr und nicht weniger!

Fakt ist, seine selbstgerechte Verweigerung eines echten Dialogs machte die Proteste groß! Fakt ist, er musste durch den Protest auch in den eigenen Reihen und der Presse erst gezwungen werden zum Dialog, nachdem die Hamburger Bürgerschaft Schreibers Zaun gewordene Law & Order-Regelwut als nicht tragbar beurteilte.
Die Meisten im Bündnis verstehen den runden Tisch als den Versuch, den Protest quasi in ein Abklingbecken zu verschieben, ihn von dem Rückhalt in der Bevölkerung abzuschneiden.  Das erklärt auch das hartnäckige Sendungsbewusstsein der SPD-Abgeordneten in den SozialNetworks und die dabei betriebene Verdrehung der Faktenlage. Die Massen sollen sich zerstreuen, Stuttgart 21 lässt grüssen.
Die SPD bleibt am runden Tisch als politische Partei unter sich. Selbst der Schlichter ist SPD-Parteimitglied und Teil der durchsichtigen Strategie..
Kirchliche Vertreter sind eine gute Zutat, aber keine Bürgervertreter und überrepräsentiert. Hinz & Kunzt ist dabei und das ist auch gut so.
Der St.Pauli Bürgerverein verdient den Namen nicht, er war schon 1999 gegen einen vorläufigen Stopp des Baubooms bis zur Fertigstellung eines übergreifenden Entwicklungskonzeptes für St.Pauli.
Klar, weil sie die gutbürgerlichen Hausbesitzer und nicht die Mieter repräsentieren. Aber auch Mieter sind Bürger, und Wähler.

Ausgrenzung + Gentrifizierung = allgemeine Verteilungsdebatte?

Der Zaun ist doch nur das auslösende Moment der Protestlawine. Zunehmend viele, wirtschaftlich nicht weiter belastbare Bürger geraten an die Schmerzgrenze und sehen, wie durch gezielt gefördertes Aufwerten ihr Heimat-Viertel für die besseren Kreise, Anleger, Investoren und Hausbesitzer quasi börsentauglich aufpoliert wird.
Die Mieten explodieren, dem kritischen Dialog zum Thema „Gentrifizierung, -Arme verlieren, -Reiche gewinnen“ verweigert sich die Bezirksversammlung in wechselnden Mehrheiten, weil mittlerweile alle großen Parteien daran mitgewirkt haben.
Und zum Argument, man wäre zu Law & Order quasi verurteilt um die rechte Flanke zu sichern, Schill profitierte auch vom Schock des 11.September, und davon trotz Absprache unter den Parteien weiter Wahlkampf betrieben zu haben, z. B. am Fähranleger Teufelsbrück.

Mehr Demokratie wagen

Die amtierenden Politiker erwecken nur den Anschein von aufrichtigem Dialog. Wahrhaftigkeit? Fehlanzeige! Sie verwalten Mehrheiten, Wahlprogramme und Lobbyinteressen, ihr Interesse gilt hauptsächlich der eigenen Machtabsicherung.

Die Bürgerrechte von Minderheiten sind für „Volksparteien“ nur relevant, wenn sie das Wahlkampf-Image bei den großen Zielgruppen sexy  machen. Seine Rechte und seine Stimme holt man sich vor Gericht oder auf der Strasse zurück, gewaltlos. Das allgemeine Ohnmachtsgefühl der Wähler drückt sich in den geringen Wahlbeteiligungen aus. Der ausufernde Überwachungsstaat tut sein Übriges, ein Bürger unter Generalverdacht ist ein Untertan.

Unser demokratischer Rechtstaat ist unvollkommen, Politiker sind keine Verfassungsrichter.
Sie sind gewählt worden um hoffentlich ihr Wahlprogramm umzusetzen, unter Wahrung der Bürgerrechte. Wir leben in einer Diktatur der populistisch gewonnenen Mehrheiten, die verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen geraten zunehmend unter die Räder der Mehrheitsbildung. Oft geht es um Beschwichtigung bis zu nächsten Wahlkampf, und dann zählen nur die Rechte derer, die Wählerquote bringen.

Und das motiviert mich, Werbung zu machen für die Pflicht zur Mündigkeit und das Recht zu wählen. Leider muss viel zu oft ein Gericht die Minderheitenrechte vor der Macht der Mehrheit schützen, wenn in Gesetzgebung und Anwendung die unveräußerlichen Rechte Einzelner angetastet werden. Wir benötigen dringend kleinere Parteien, die kleinere Bevölkerungskreise und Interessengruppen vertreten, -Koalitionen erzwingen.
Hr. Schreibers schwarz/weiss -Malerei spaltet, im Kampf gegen den Populismus übernimmt die SPD-Mitte seine Wesenszüge. Ich liebe die bunte, weltoffene Stadt Hamburg. Tolerant und undogmatisch differenzierend, integrierend, das war und sollte ihr Image bleiben! Ich ahne, dass das die Politik immer anspruchsvoll gestaltet.

Derzeit verhält sich das "Tor zur Welt" wie eine "Schleuse zur Welt".

Klarmachen zum Ändern!

Gegen Autoritätsgläubigkeit, für selbst gemachte Meinungen mündiger Bürger.

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