Angemeldete Demonstrationen sind gelebte Demokratie
außerhalb der Parteien und Parlamente. Besonders dann, wenn abseits der
Wahltermine Bürger den Focus auf eine brennende Frage lenken wollen und
Korrekturbedarf in der Politik sehen.
Politisch motivierte Straftaten, auch wenn sie Bezug
nehmen auf berechtigte Proteste gehören aufgeklärt und bestraft. Gewaltbereite
Trittbrettfahrer mit extrem verkürzten Gedankengängen, dafür haben wir Polizei
und Staatsschutz.
Kein Demokrat darf sich einschüchtern lassen. Auch nicht
von Verallgemeinerungen und der pauschalen Unterstellung, die Protestaktivisten
wären geistige Urheber von Straftaten.
Das Recht zu demonstrieren ist ein unverzichtbares
Lebenselixier der rechtsstaatlichen Ordnung, weil es ein niedrigschwelliger
Weckruf an die Politik ist und bleiben sollte. Und dieses Recht lasse ich mir
von Niemandem relativieren. Es ist nicht selbstverständlich, ich hatte ich
nicht immer.
Im Gegensatz zu vielen Laufbahnpolitikern in den etablierten
Parteien habe ich es mir erkämpfen müssen und hab auch was riskiert!
Vor der ersten, wirklich gefährlichen Demo 1989 in der
Schwerin haben wir das 4-jährige Kind nachmittags in die Obhut eines
kirchlichen Kindergartens gegeben, mit rasendem Puls, voll Angst, was wohl
passieren mag!
Dort war es üblich, friedfertigen Demonstranten
"staatsfeindliches Rowdytum" zu unterstellen und SED-kritischen
Demonstranten wurden mitunter sogar die Kinder von staatlicher Stelle
weggenommen unter dem Vorwand, man habe sie abends vernachlässigt, während man
Unruhe stiften ging.
Mir muss deshalb auch keiner erklären, dass nur
gewaltloser Protest andere zum Denken anregt und zum Ziel führt. Und unsere
Parolen in der DDR 1989 waren auch nicht vom Ponyhof.
Und noch was hab ich damals gelernt!
Unbegründet und hysterisch sieht das Ganze meist nur von
oben aus, aus der Perspektive derer, die ihren komfortablen Status Quo nicht
gefährden wollen. Ein Wählermandat ist ein Vertrauensvorschuss, kein
Unfehlbarkeits-Attest.
Runder Tisch –Dialog?
Ich kann nur für mich sprechen. Hr. Schreiber hat den
Zaun bauen lassen, im Alleingang. Und er hat von seinem Sprecher auch erklären
lassen, er halte die Entscheidung trotz der Proteste noch immer für richtig und werde dafür auch seinen Kopf
hinhalten. Ich nehme ihn beim Wort, nicht mehr und nicht weniger!
Fakt ist, seine selbstgerechte Verweigerung eines echten
Dialogs machte die Proteste groß! Fakt ist, er musste durch den Protest auch in
den eigenen Reihen und der Presse erst gezwungen werden zum Dialog, nachdem die
Hamburger Bürgerschaft Schreibers Zaun gewordene Law & Order-Regelwut als
nicht tragbar beurteilte.
Die Meisten im Bündnis verstehen den runden Tisch als den
Versuch, den Protest quasi in ein Abklingbecken zu verschieben, ihn von dem
Rückhalt in der Bevölkerung abzuschneiden.
Das erklärt auch das hartnäckige Sendungsbewusstsein der
SPD-Abgeordneten in den SozialNetworks und die dabei betriebene Verdrehung der
Faktenlage. Die Massen sollen sich zerstreuen, Stuttgart 21 lässt grüssen.
Die SPD bleibt am runden Tisch als politische Partei
unter sich. Selbst der Schlichter ist SPD-Parteimitglied und Teil der
durchsichtigen Strategie..
Kirchliche Vertreter sind eine gute Zutat, aber keine
Bürgervertreter und überrepräsentiert. Hinz & Kunzt ist dabei und das ist
auch gut so.
Der St.Pauli Bürgerverein verdient den Namen nicht, er
war schon 1999 gegen einen vorläufigen Stopp des Baubooms bis zur
Fertigstellung eines übergreifenden Entwicklungskonzeptes für St.Pauli.
Klar, weil sie die gutbürgerlichen Hausbesitzer und nicht
die Mieter repräsentieren. Aber auch Mieter sind Bürger, und Wähler.
Ausgrenzung + Gentrifizierung = allgemeine Verteilungsdebatte?
Der Zaun ist doch nur das auslösende Moment der
Protestlawine. Zunehmend viele, wirtschaftlich nicht weiter belastbare
Bürger geraten an die Schmerzgrenze und sehen, wie durch gezielt gefördertes
Aufwerten ihr Heimat-Viertel für die besseren Kreise, Anleger, Investoren und
Hausbesitzer quasi börsentauglich aufpoliert wird.
Die Mieten explodieren, dem kritischen Dialog zum Thema
„Gentrifizierung, -Arme verlieren, -Reiche gewinnen“ verweigert sich die
Bezirksversammlung in wechselnden Mehrheiten, weil mittlerweile alle großen
Parteien daran mitgewirkt haben.
Und zum Argument, man wäre zu Law & Order quasi
verurteilt um die rechte Flanke zu sichern, Schill profitierte auch vom Schock
des 11.September, und davon trotz Absprache unter den Parteien weiter Wahlkampf
betrieben zu haben, z. B. am Fähranleger Teufelsbrück.
Mehr Demokratie wagen
Die amtierenden Politiker erwecken nur den Anschein von
aufrichtigem Dialog. Wahrhaftigkeit? Fehlanzeige! Sie verwalten Mehrheiten,
Wahlprogramme und Lobbyinteressen, ihr Interesse gilt hauptsächlich der eigenen
Machtabsicherung.
Die Bürgerrechte von Minderheiten sind für
„Volksparteien“ nur relevant, wenn sie das Wahlkampf-Image bei den großen
Zielgruppen sexy machen. Seine Rechte
und seine Stimme holt man sich vor Gericht oder auf der Strasse zurück,
gewaltlos. Das allgemeine Ohnmachtsgefühl der Wähler drückt sich in den
geringen Wahlbeteiligungen aus. Der ausufernde Überwachungsstaat tut sein
Übriges, ein Bürger unter Generalverdacht ist ein Untertan.
Unser demokratischer Rechtstaat ist unvollkommen,
Politiker sind keine Verfassungsrichter.
Sie sind gewählt worden um hoffentlich ihr Wahlprogramm
umzusetzen, unter Wahrung der Bürgerrechte. Wir leben in einer Diktatur der
populistisch gewonnenen Mehrheiten, die verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen
geraten zunehmend unter die Räder der Mehrheitsbildung. Oft geht es um
Beschwichtigung bis zu nächsten Wahlkampf, und dann zählen nur die Rechte
derer, die Wählerquote bringen.
Und das motiviert mich, Werbung zu machen für die Pflicht
zur Mündigkeit und das Recht zu wählen. Leider muss viel zu oft ein Gericht die
Minderheitenrechte vor der Macht der Mehrheit schützen, wenn in Gesetzgebung
und Anwendung die unveräußerlichen Rechte Einzelner angetastet werden. Wir benötigen
dringend kleinere Parteien, die kleinere Bevölkerungskreise und
Interessengruppen vertreten, -Koalitionen erzwingen.
Hr. Schreibers schwarz/weiss -Malerei spaltet, im Kampf
gegen den Populismus übernimmt die SPD-Mitte seine Wesenszüge. Ich liebe die bunte, weltoffene Stadt Hamburg. Tolerant
und undogmatisch differenzierend, integrierend, das war und sollte ihr Image
bleiben! Ich ahne, dass das die Politik immer anspruchsvoll gestaltet.
Derzeit verhält sich das "Tor zur Welt" wie
eine "Schleuse zur Welt".
Klarmachen zum Ändern!
Gegen Autoritätsgläubigkeit, für selbst gemachte
Meinungen mündiger Bürger.