Sonntag, 26. Februar 2012

Der Kampf um den verfassungsrechtlichen Status des Netzes

Gilt der besondere Schutz der Wohnung auch für den mehr oder weniger voll verglasten "Wintergarten" in sozialen Medien, im Netz insgesamt?

Gefühlt ja, für die privaten Nutzer! Sie sind dort in zunehmenden Maße wie selbstverständlich präsent. Und sie übertragen normales "realweltliches" Verhalten im privaten Raum dabei auch ins Netz (ehemals Mitschnitte durch Audiokassettengeräte, Empfehlungen durch Vorspielen, CD-Verleih, Aufführung in privatem Rahmen). 
Die neue Infrastruktur setzt jedoch kaum Grenzen der Reichweite.
Aber umgekehrt dringen Shops, Werbung, Spam etc. Verkäufer und Schaufenster eben auch in den geschützten Raum des virtuellen Privatlebens ein. Spam flutet Postfächer.
Lange war das kein Problem, die Chancen bestanden und bestehen auf beiden Seiten. Muss man, um die Chancen zu nutzen, Abstriche von liebgewordenen, vermeintlich "wilden" Besitzständen machen? Beide Seiten werden virtuell zu neuen Kompromissen gezwungen. Die Nutzer empfanden es bislang als automatisch ausgeglichen.  

Nun jedoch versucht die Verwerter-Industrie auch mittels ACTA dieses, instinktiv als gerecht empfundene Gleichgewicht mit einem Rollback zu ihren Gunsten zu kippen. Derbes Geschütz wird aufgefahren, hanebüchene Argumente. Da werden die Zahlen privater CD-Kopien in entgangenen Umsatz umgerechnet, als hätte man für jedes untersagte Foto automatisch ersatzweise eine Ansichtskarte gekauft.

Anfang der 90er wurden in einer konzertierten Aktion die CD-Preise auf über 30,-DM fast verdoppelt und gehalten. Die Preise sind jedoch auf dem virtuellen Vertriebsweg im Bereich der legalen Downloads kalkulatorisch obszön hoch. Technischer  Fortschritt macht eine Musikproduktion auch eher günstiger als teurer. Diese Ignoranz der Marktmonopolisten schuf große Kreativität angesichts der neuen Möglichkeiten virtueller Welten und machte Filesharing erst richtig sexy. Eine echte Original-CD hätte auch zum Prestigeobjekt aufgebaut werden können. 
Aber so ist das bei Märkten, die sich durch GEMA, Kartellbildung großer Majorlabels und Verwerter vom Wettbewerb abkoppeln.

Man verweigert von Angst gesteuert die Evolution und provoziert die Revolution.

Wir stehen vor der historischen Aufgabe, für virtuellen Zonen verfassungsrechtliche Status zu definieren. Sie nehmen zunehmend bedeutenden Raum ein, im Leben einer zunehmenden Anzahl von Bürgern.
Der Staat sieht das Netz als öffentlichen Raum, wie Straßen und Plätze, der netzaffine Nutzer als Erweiterung seiner Wohnung und Privatsphäre. Kommerzielle Unternehmen sehen es als virtuelle Marktplätze und Schaufenster.

Der Kampf um die Deutungshoheit hat, für viele unbewusst, längs begonnen... ein notwendiger Prozess, eine breite gesellschaftliche Debatte, dem sich zunehmend demokratieverdrossene Politiker z. B. durch ACTA nicht entziehen können.